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ÜBER DIESES PROJEKT

Unsere beiden AudioWalks nehmen Sie mit auf eine Reise durch das jüdische Czernowitz und Chişinău und ermöglichen Ihnen, viele der fast vergessenen Orte des jüdischen Lebens in den Städten zu entdecken.

Nutzen Sie unsere Multimedia-Karten und erkunden Sie dabei das Archivmaterial sowie die Familienbilder und persönlichen Geschichten von 21 jüdischen Holocaust-Überlebenden, um einen einzigartigen Einblick in das vielfältige jüdische Erbe dieser beiden europäischen Städte zu erhalten.

Ghetto und Ghetto Mahnmal

Ghetto und Ghetto-Mahnmal

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Sahajdatschnohostr. 22a
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Auf dem kleinen Platz an der Ecke Shalom Aleichem und Sahaidachnoho Straße steht ein Denkmal in Form eines zerbrochenen Davidsterns. Errichtet wurde es im Herbst 2016, auf Initiative jüdischer Organisationen. Es soll an das Czernowitzer Ghetto aus dem Jahr 1941 erinnern, dessen Haupttor sich ganz in der Nähe befand – und damit an den Völkermord an den einheimischen Juden im Zweiten Weltkrieg. Der 1928 in Czernowitz geborene Bruno Bittmann erinnert sich in seinem Centropa Interview an sein Leben im Ghetto:

Am 5. Juli 1941 besetzten die deutschen Truppen Czernowitz. Alle Juden aus Czernowitz mussten ins Ghetto. Das Ghetto bestand praktisch aus ein paar Straßen in Czernowitz, die abgeriegelt wurden. Auf der Seite, wo das Ghetto eingerichtet wurde, lebte eine Dame mit drei oder vier Kindern, deren Mann gestorben war. Sie besaß ein kleines Lebensmittelgeschäft. Um ihr in ihrer schlechten finanziellen Situation behilflich zu sein, war meine Mutter immer den weiten Weg mit mir gegangen, um dort einzukaufen. Die Wohnung dieser Frau lag nun direkt im entstandenen Ghetto, und wir durften bei ihr wohnen. Acht oder neun Leute waren wir in einer kleinen Kellerwohnung, aber anderen ging es schlechter. Wir durften nur zu bestimmten Zeiten auf die Straße. Wir mussten einen gelben Stern tragen und Buben wie ich befestigten den gelben Stern an einer Schnur und zogen ihn herauf oder herunter, wie es gerade passte. Auf diese Art und Weise konnten wir auch mal ins Kino gehen. Ich erinnere mich, zu Pessach, wenn man koscheren Wein trinken und Mazzot essen muss, besorgte mein Vater von irgendwoher handgemachte Mazze. Den Wein hat mein Vater aus Rosinen selbst hergestellt. Es wurde viel improvisiert, als wir unter der Herrschaft der Deutschen in Czernowitz lebten, aber wir hungerten nicht.

Auf Befehl der rumänischen Behörden waren am 11. Oktober 1941 Zehntausende Czernowitzer Juden in das abgesperrte Ghetto umgesiedelt worden, um von dort aus weiter deportiert zu werden. Unter katastrophalen Bedingungen lebten anfangs etwa 50.000 Juden eingepfercht auf engstem Raum, ohne adäquate Versorgung. Auch Sylvia Segenreich, geboren 1926, berichtet im Interview mit Centropa von der Wohnsituation im Ghetto:

Das Ghetto ist im Herbst 1941 entstanden. Zufällig war dort die Fabrik meines Vaters, da hat auch meine Großmutter gewohnt. Dort haben wir in einer 3 Zimmerwohnung zusammen mit 30 Familienmitgliedern gelebt, das waren die Geschwister meiner Mutter mit ihren Familien. Juden durften nicht tagsüber und nicht abends ausgehen. Nur von 10 Uhr bis 13 Uhr, um etwas einzukaufen. Aber sonst durften wir nicht auf die Straße gehen.

Auch die Familie von Dora Nisman, geboren 1912, war gezwungen, ins Ghetto umzuziehen:

Wir Juden wurden aufgefordert, in speziell für uns markierte Straßen zu ziehen. Wir packten unser Hab und Gut, aber ein deutscher Soldat forderte uns auf, alles zurückzulassen. Er sagte, wir würden nur vorübergehend im Ghetto bleiben. Eine Ansammlung von Straßen waren mit Holzzäunen umzäunt. Alle Wohnungen waren überfüllt. Wir lebten in einer Waschküche und schliefen auf dem Boden. Ich fühlte mich sehr krank. Wir hatten nicht genug zu essen und tauschten alles, was wir mitgenommen hatten, gegen Essen ein. […] Am 25. Dezember brachte ich meine Tochter in unserer Wohnung im Ghetto zur Welt. Meine Schwester und mein Vater riefen einen Doktor, dass er nachts zu uns kam, da ich Angst hatte, die Deutschen würden mich im Krankenhaus töten. Wir waren uns bewusst, dass jeder Tag der letzte Tag unseres Lebens sein könnte. Einige unserer Nachbarn verschwanden jede Nacht.

Die rumänische Militärverwaltung kontrollierte das mit einem Bretterzaun eingegrenzte Territorium. Es lag in einem Teil der Stadt, in dem schon viele Juden lebten und in dem sich Teile der jüdischen Infrastruktur befanden, wie etwa das jüdische Krankenhaus. Wichtig war auch die Nähe zum Güterbahnhof, von dem aus gingen die Transporte nach Transnistrien. Carol Margulies, der mit seiner gesamten Familie deportiert wurde und die Lager überlebte, berichtet in seinem Centropa-Interview:

1941 waren wir im Ghetto Czernowitz und mussten den gelben Stern tragen. Wir durften nicht vor 10 oder 11 Uhr zum Marktplatz gehen. Viele Juden wurden mitten auf der Straße zusammengeschlagen. […] Eines Tages – es war ein Freitag – kamen Soldaten zu uns und sagten: „Ihr habt 40 Minuten Zeit, um das Haus zu verlassen. Niemand darf mehr Gepäck mitnehmen, als er tragen kann!“ Sie konfiszierten sowieso alles, was wir mitgenommen hatten. Ich spreche nicht von Eheringen und anderen Schmuckstücken. Das war selbstverständlich. Aber sie nahmen uns auch unsere Papiere: „Wohin ihr geht, da braucht ihr keine Papiere!“ […] Sie brachten uns zum Bahnhof. Einen Tag später fuhr unsere ganze Familie nach Bessarabien.

Schrittweise leerte sich das Ghetto. In wenigen Wochen waren über 28.000 Juden in die Hölle der transnistrischen Ghettos und Lager deportiert worden. Rund 16.500 Juden konnten allerdings mit einer Sondergenehmigung in der Stadt bleiben. Sie wurden als Arbeitskräfte benötigt. Einige andere konnten dank zuverlässiger Verstecke oder der Bestechung rumänischer Beamter bleiben. Ende November 1941 wurde das Czernowitzer Ghetto schließlich aufgelöst. Die Ghettoisierung der Czernowitzer Juden ist ein tragisches Kapitel in der Geschichte der Stadt. Das Denkmal soll an diese Tragödie erinnern. Zugleich ist es als Warnung an zukünftige Generationen gedacht.

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