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ÜBER DIESES PROJEKT

Unsere beiden AudioWalks nehmen Sie mit auf eine Reise durch das jüdische Czernowitz und Chişinău und ermöglichen Ihnen, viele der fast vergessenen Orte des jüdischen Lebens in den Städten zu entdecken.

Nutzen Sie unsere Multimedia-Karten und erkunden Sie dabei das Archivmaterial sowie die Familienbilder und persönlichen Geschichten von 21 jüdischen Holocaust-Überlebenden, um einen einzigartigen Einblick in das vielfältige jüdische Erbe dieser beiden europäischen Städte zu erhalten.

The blue and white bulding of the building of the former Temple synagogue
Das Gebäude der Tempelsynagoge heute

Tempel Synagoge

Element 340
Universytets'ka Str. 10
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Nur wenig an dem Gebäude des Kinos an der Ecke Universytetska-Straße und Maria-Zan‘kovetska-Straße verweist heute noch auf den prächtigen Tempel, die einst größte Synagoge im Herzen der Stadt. Am 8. Juli 1941 wurde das Gebäude in Brand gesetzt, von Soldaten eines SS-Sonderkommandos, das mit Beginn des deutsch-rumänischen Feldzugs gegen die Sowjetunion wenige Tage zuvor in die Stadt gelangt war. Diese barbarische Aktion sowie die Hinrichtung des Rabbiners Abraham Mark gelten als Prolog des Völkermords an der jüdischen Bevölkerung in Czernowitz während des Zweiten Weltkriegs.

Der Tempel war die wichtigste Synagoge des progressiven Teils der Czernowitzer Juden. Seinem Bau voraus gingen Streitigkeiten um die Einführung einer fortschrittlichen Liturgie, welche die reformierten Juden einforderten, die orthodoxen hingegen ablehnten. Die Bauarbeiten begannen im Mai 1873, nachdem ein geeignetes Baugrundstück von Amalia Zucker gespendet worden war. Nach über vier Jahren Bauzeit konnte der Tempel im September 1877 eingeweiht werden. Der erste Rabbi der Synagoge war Lazar Elias Igel, der über 15 Jahre ihr geistliches Oberhaupt blieb. Nachdem alle Schulden beglichen waren, gelangte das Gebäude in den Besitz der jüdischen Gemeinde.

Der im pseudomaurischen Stil erbaute Tempel mit seiner großen Kuppel unterschied sich nicht nur in seiner Architektur von anderen Synagogen der Stadt. Gottesdienste fanden hier zwar auch in Hebräisch statt, aber sie waren geprägt durch das Singen des Kantors, die anschließende Predigt in deutscher Sprache sowie das Mitwirken des Knabenchors. Es war der Chor, in dem von 1918 bis 1924 der in späteren Jahren bekannte Tenor Josef Schmidt sang.
Melitta Seiler, 1929 geboren, besuchte den Tempel an hohen Feiertagen:

Wir gingen in den großen Tempel, eine schöne Synagoge, zu besonderen Anlässen, wie den hohen Feiertagen oder anlässlich einer Hochzeit, und es war immer voll. Daher musste man vorher bei der jüdischen Gemeinde Plätze kaufen: Frauen saßen auf der einen Seite, Männer auf der anderen. Meine Eltern haben immer darauf geachtet, dass sie sich vor jedem hohen Feiertag einen Sitzplatz kauften. Zum jüdischen Neujahr gab es immer große Vorbereitungen, alle gingen in die große Synagoge, und dann wurden wir zu einer Party bei einer Tante oder einem Onkel eingeladen, und es gab viel zu essen und zu trinken.

Auch der aus einer reformierten Familie stammende Bruno Bittmann, Jahrgang 1928, besuchte regelmäßig den Tempel:

Mein Vater und meine Mutter beteten jeden Tag. Nicht, dass mein Vater jeden Tag in die Synagoge gegangen wäre, aber am Samstag nahm er mich oft mit in den Großen Tempel, einem wunderschönen Gebäude mit aus Holz geschnitzten Wänden. Später wurde der Tempel von den Deutschen niedergebrannt. […] Meine Bar Mitzwa war in dieser schrecklichen Zeit. Sie fand im Tempel statt, es gab eine kurze Ansprache, ich musste mein Gebet sagen, dann war die Sache erledigt.

Die gesamte Inneneinrichtung des Tempels fiel dem Brand 1941 zum Opfer. Im Jahr 1952 sollte das Gebäude im Auftrag der lokalen sowjetischen Verwaltung gesprengt werden – was jedoch misslang. Einige Jahre blieb die Ruine ungenutzt, 1958 begannen schließlich Umbauarbeiten zum ersten Breitbildkino der Stadt, das ein Jahr später unter dem Namen „Zhovten‘ “, zu Deutsch: „Oktober“, eröffnete. Bis heute wird der ehemalige Tempel als Kino genutzt, das seit 1992 den ukrainischen Namen der Stadt „Cernivtsi“ trägt. Wer durch die Eingangshalle geht, trifft an deren linkem Ende auf eine Erinnerungstafel in ukrainischer Sprache. Auf dieser wird dem Tenor Josef Schmidt gedacht – der einst den Tempel mit seinem Gesang füllte. Ein letzter, hinter Kinowerbung gut versteckter Hinweis auf die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes.

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